Statt Meinungsvielfalt nur noch zugekaufte Texte?

Niederrhein im Blick,

Niederrhein. (wil) Der Konflikt schwelt schon seit Wochen, doch mehr als „ein Interessensausgleich" zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat sei noch nicht zustande gekommen, seit im April bekannt wurde, dass der Düsseldorfer W. Girardet Verlag beabsichtigt, rund die Hälfte seiner derzeit ca. 100 festangestellten Redakteure bei der Westdeutschen Zeitung (WZ) zu entlassen und voraussichtlich zum Herbst 2014 u.a. die Lokalredaktion Willich-Tönisvorst zu schließen. „Wir stehen quasi noch ganz zu Beginn der Verhandlungen", formuliert es Andreas Ritter, stellvertretender Vorsitzender des Betriebsrats der WZ. Derweil regt sich in Tönisvorst Protest gegen das Vorhaben der Geschäftsleitung, der von einem Bürgerantrag an den Stadtrat bis hin zu einer geplanten Demonstration reicht.
MIT-Kreisvorsitzender Maik Giesen fürchtet um die „Meinungsvielfalt" der regionalen Medienlandschaft, wenn der Standort Tönisvorst aufgelöst werde. „Dass die Tönisvorster kämpfen können, haben sie ja schon im Zusammenhang mit dem Krankenhaus unter Beweis gestellt. Mit Erfolg, schließlich haben wir unser Krankenhaus noch", sagt er. Aber: ein Gespräch zwischen Vertretern der WZ-Geschäftsleitung und dem Tönisvorster Ältestenrat habe keinerlei Annäherung gebracht. Die Düsseldorfer seien, so Giesen, „sehr arrogant" aufgetreten und hätten signalisiert, dass die Entscheidung aus „wirtschaftlichen Gründen" unumgänglich sei.
Gemeint ist die sinkende Auflage. Nach Angaben der Deutschen Journalistenverbandes (DJV) verkauft die WZ gerade noch 97.000 Exemplare und hat zwischen 2011 und 2013 erneut einen Auflageschwund von knapp 10 Prozent hinnehmen müssen. Das sei mehr als der Branchendurchschnitt, urteilen die Experten. Um sich über Wasser zu halten, hatte das Verlagshaus vor zwei Jahren seine Druckerei und seine Lokalfunk-Beteiligung an Radio Wuppertal verkauft, jetzt müssen die Redakteure um ihre Arbeitsplätze fürchten.
„50 Stellen – das sind Millionen an Euro, die eingespart werden können", bewerten Insider die Pläne der Geschäftsleitung. „Aber andererseits geht es um Men- schen und um ganze Familien". Andreas Ritter vom Betriebsrat erinnert daran, dass zudem „hinter jedem Redakteur ein freier Mitarbeiter zu vermuten ist, der ebenfalls arbeitslos wird". Ob sich diese Entlassungen im Zuge eines Sozialplanes halbwegs erträglich regeln lassen? Am Donnerstag ha-ben die ersten konkreten Verhandlungen begonnen. Seitens des Betriebsrates hat man sich zum Ziel gesetzt, wenigstens einen Teil der geplanten 50 Stellenstreichungen noch zu verhindern.
Draußen beim Leser sind andere Sorgen wichtiger. Die Lokalredaktion Kempen mit ihren 2,5 Redakteursstellen und 1 Volontär ist (vorerst) nicht betroffen, doch im Lokalteil Tönisvorst der WZ wird man wohl in Kürze „fremd produzierte Texte" lesen: ausgerechnet die Rheinische Post (RP), die vom Leser in der Regel als WZ-Wettbewerber wahrgenommen wird, soll den Lokalteil liefern, vermeldet der DJV. „Nichts anderes als eine Mogelpackung", erklärt Uwe Tonscheidt, stellvertretender Vorsitzender des DJV NRW in einer Pressemitteilung des DJV.
Kenner vermuten, dass die zugekauften Lokalteile, wie sie demnächst neben Tönisvorst auch im Kreis Mettmann sowie im Rhein-Kreis Neuss zu lesen sind, nur der Anfang vom Ende einer pluralistischen Medienlandschaft sind und die WZ - nach dem aktuellen „Testlauf" - völlig vom Markt verschwinden könnte.
Dabei erfreuen sich besonders die Lokalteile der WZ großer Beliebtheit. Während die Rheinische Post ihren Schwerpunkt in der überregionalen Berichterstattung hat, dem so genannten Mantelteil, hat die WZ über Jahre ihr Image als Lokalzeitung gepflegt. Am besten würde man die beiden Zeitungen miteinander kombinieren, den Mantel von der RP, die Lokalteile von der WZ, heißt es mitunter in der Leserschaft. Kein Wunder, dass Tönisvorster Leser ungern auf „ihren" Lokalteil verzichten wollen. Ob ein diesbezüglicher Bürgerantrag, mit dem der neue Tönisvorster Stadtrat sich schon in seiner konstituierenden Sitzung am 3. Juli befassen muss, Erfolg haben wird, ist eher fraglich.
Sollte die Geschäftsleitung der WZ bei ihren Plänen bleiben, kommt auf die Stadt Tönisvorst noch ein anderes Problem zu. Die WZ ist nämlich Hauptsponsor des Bürgerbusvereins, der mit derzeit rund 22.500 Fahrten jährlich eine ganz wichtige Rolle im öffentlichen Nahverkehr übernimmt. „Es geht um eine stattliche Summe, ohne die ein großes Stück in unserem System wegbrechen würde", sagt der Geschäftsführer des Vereins Wolfgang Schouten. „Ohne Sponsoren ist der Bürgerbus nicht zu finanzieren". 

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